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Das Zwergenei

von Sonja Kehlbach
Alles begann an einem typischen " blauer Himmel - Sonne schein -Tag", als Legolas, der einzige Sohn des Elbenkönigs Thranduil von Düsterwald und rechtmäßiger Sohn des Weinmonopols, betrunken durch den Wald torkelte.

Die Sonne strahlte durch die Äste der Bäume direkt in Legolas Augen und verursachte ihm nicht nur grässliche Kopfschmerzen, sondern blendete ihn auch noch. So war es kein Wunder, dass er urplötzlich über ein gemeinerweise vor ihm auftauchendes, rundes und gesprenkeltes Ding stolperte.

"Was...*hick*...*hick*!?", lallte er und hob es verärgert auf. Und siehe da, ...es war ein Ei. Ein Zwergenei, genauer gesagt. Egoistisch drückte Legolas das Ei (das er in seinem Zustand nicht in die Hände hätte bekommen sollen) an seine Brust und zerquetschte es fast, während er misstrauisch nach anderen Elben suchte, die ihm seinen Schatzzz vielleicht streitig machen wollten.
Doch als er niemanden sah (- kein Wunder, einem betrunkenen Elben will man nicht auf 500 Meter nahe kommen...-), betrachtete er seinen Fund genauer. Und -siehe!- es machte *klick* in seinem Hirn und die Schuppen fielen samt Alkoholschleiern von seinen Augen und das Ei erschien ihm wunderschön, so Kackbraun und gefleckt es auch war.
Also beschloss der naive Jung-Elb es mitzunehmen. Kurzerhand versenkte Legolas das Ei in seinem Köcher, allerdings nicht ohne es vorher mit seinem halben und in Streifen gerissenen Untergewand zu umwickeln, und eilte nach Hause.

Als ihm sein Vater mit skeptischer Miene entgegentrat und beide Augenbrauen angesichts des zerrissenen Untergewandes in die Höhe schossen, murmelte Legolas: "Wildschweine!", und ließ Thranduil auf dem Weg in die Bibliothek einfach stehen.
Dort angekommen, fand er nach längerem Suchen (Elben haben wegen ihrer Langlebigkeit ein schlechtes Zeitgefühl...) ein Buch, das "Wie brüte ich meinen Zwerg aus?" hieß, und er dachte, das wäre die richtige Lektüre für ihn.
Stunden später wusste er alles über das Paarungsverhalten von Zwergen, aber auch, dass man das Ei jetzt in einem Erdloch lagern müsste...hier gab es ein kleines Problem, denn Elben sind sehr saubere Geschöpfe.
Allerdings halten sie sehr viel von Schönheitskuren, und so kam Legolas auf die Idee, das Ei in dem Schlammbad seines Vaters zu verbuddeln. Ein schlammbrauner Klumpen mehr oder weniger würde in der Wanne kaum auffallen.

Einige Tage später erschien es Thranduil seltsam, dass sich sein Sohn in letzter Zeit so oft im Badehaus aufhielt.
"Komisch", dachte er, "so oft wäscht er sich doch sonst nie??". Seiner Frau gegenüber meinte er: "Der Junge wird doch nicht etwa irgendwas ausbrüten?"
Natürlich meinte mit "ausbrüten" eine eventuelle Krankheit ausbrüten; welcher elbische Vater würde auch auf den Gedanken kommen, dass sein Sohn einen Zwerg ausbrüten könnte??

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Monate später, als Legolas seinem Ei gerade ein elbisches Trinklied vorsang, bemerkte er die ersten feinen Risse in der sonst so harten Schale des Eis. Kurz darauf wurde die obere Hälfte offenbar mit sehr großer Kraftanstrengung aufgesprengt.
Ein kleiner Zwerg erblickte das Licht der Welt!!
"Mamaaa!!!", kreischte eine überschnappende Stimme aus einem dunklen Bartwald heraus und plärrte los.
Gerade, als Legolas den Kleinen hochhob und beruhigend streichelte, riss sein Vater die Badezimmertür auf und stürmte herein.
"!!??WAS IST DAS!!??", brüllte er, als er das haarige Etwas in Legolas' Armen erblickte.
"Das", antwortete Legolas verzückt, "ist...Gimli, mein zukünftiger Freund und Ziehsohn!"

Thranduil klappte der Unterkiefer herunter und beobachtete fassungslos, wie seinem Sohn (der ihn gerade zum Großvater gemacht hatte!!) eine Träne des Stolzes an der Wange heruntertropfte, dicht gefolgt von einem wahren Sturzbach an Salzwasser und einem Geplärr, das sogar dem frischgeschlüpften Gimli Konkurrenz machte.

Nun traten ­langsam und gesittet­ weitere Elben ein, die "nur mal zufällig vorbeigekommen waren" und "überhaupt nicht neugierig" mal nachsehen wollten, "was den da los wäre" (Zitate diverser Elben). Diese standen nun im Kreis ­und in einigem Abstand­ um den glücklichen und frischgebackenen Vater, den unglücklichen und wütenden Großvater und den kleinen Gimli herum und trauten ihren Augen nicht.

Dann setzte das Getuschel ein. Ein Elb wagte es zu kichern, ein zweiter ignorierte den flammend wütenden Blick Thranduils und prustete los, worauf mehrere Elben ihre Beherrschung verloren und sich Tränen lachend auf dem Boden wälzten. Der König stapfte beleidigt hinaus, seine Untertanen keines Blickes mehr würdigend.
Fast sofort hörten die Elben auf zu lachen, standen auf und bemerkten erst jetzt, dass die ganze Sache keineswegs ein guter Witz der Königsfamilie gewesen war, mit einer superguten Imitation eines Zwergenbabys.
Rufe, Beleidigungen und Drohungen wurden laut; der Vorschlag, den Zwerg zu ersäufen, wurde sogar einstimmig angenommen.

Doch bevor sie das Zwergenbaby in die Finger bekommen konnten, donnerte Legolas'Stimme durch den Raum, die alle Elben warnte, einen Zwerg, der unter seinem besonderen Schutz stand, anzurühren. Und da die Elben schließlich nicht auf den Kopf gefallen waren, erkannten sie den zukünftigen König mit ehrfürchtigem Schweigen an und warfen sich vor ihm in den Staub. (Einige Zweifler flüsterten seeehr leise: "Na das kann ja heiter werden...", aber es waren auch nur ganz wenige Elben, die das auszusprechen wagten...)
Doch Legolas winkte gnädig (er hatte nichts gehört) und rief mit rauer Stimme: "Dies ist Gimli, Legolas' Sohn! Er soll hier aufwachsen, als wäre er einer der Unseren! Ich sehe heitere Jahre kommen!!"
Vereinzeltes Räuspern war zu hören, dann zerstreute sich die Menge.

Nicht wenige Elben behaupteten später, sie hätten Thranduil draußen auf einem Stein sitzend gesehen, mit einer Weinflasche in der Hand und den Kopf in die Hände gestützt, murmelnd:
"Manchmal fühle ich mich müde, so müde."

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© Sonja Kehlbach